Die Mikrobiota im Darm kann das Krebsrisiko beeinflussen

Wie sich die komplexe Gemeinschaft der Darmbakterien auf das Krebsrisiko auswirken kann, daran wird weiter geforscht. Mit Hilfe einer neuen Methode, der Mendelschen Randomisierung, konnte nun die Bedeutung der Darmflora für die Entstehung einiger Krebskrankheiten näher beleuchtet werden.

Die Belastung durch Krebskrankheiten nimmt weltweit nach wie vor zu. Zu den häufigsten Krebsarten gehören der Prostatakrebs bei Männern, der Brustkrebs bei Frauen sowie der Darm- und Lungenkrebs. In Deutschland erkranken rund eine halbe Million Menschen pro Jahr an Krebs. Die frühzeitige Krebsvorsorge und -prävention ist daher von großer Bedeutung. Dabei richtet sich der Blick auch auf die Darm-Mikrobiota, die Gemeinschaft der Darmbakterien. Ein gestörtes Gleichgewicht in der Darm-Mikrobiota (Dysbiose) und, abhängig davon, in den von ihr gebildeten Metaboliten, wurde mit einer Reihe von Krankheiten verbunden. Man geht von einem engen Kontakt zwischen der Dysbiose und gesundheitlichen Störungen aus, was die Ursache oder Folge für verschiedene Krankheiten sein könnte, z. B. im Immunsystem oder auch bei Krebs. 

Bislang gibt es eine Reihe von Hinweisen auf mögliche Beziehungen zwischen den Profilen der Darm-Mikrobiota und dem Krebsrisiko. Sollte sich ein kausaler Zusammenhang bestätigen, könnte die Darm-Mikrobiota ein neues Ziel für die Krebsvorsorge und -prävention werden. Doch noch sind die Beziehungen zwischen der komplexen Darm-Mikrobiota und Krebskrankheiten nicht genügend geklärt. Ein Problem ist dabei, dass die Bakterien-Gemeinschaft im Darm durch eine Fülle von Faktoren, z. B. Umwelt, Ernährung, Medikamente und Krankheiten, beeinflusst wird. Einige Therapien, wie die Einnahme von Antiobiotika, Chemotherapie und Operationen, könnten auch die Profile der Darm-Mikrobiota beeinflussen. Ein neuer Weg zur Untersuchung solcher Wirkungen könnte die Mendelsche Randomisierung sein. 

Diese Methode ermöglicht es, Teilnehmer in Studien anhand genetischer Marker (z. B. Single-Nucleotid-Polymorphismen, kurz SNPs) zu randomisieren, das heißt, zufällig bestimmte Gruppen zu bilden und zu untersuchen. So lassen sich z. B. epidemiologische Schlüsse ziehen, um kausale Wirkungen der Darm-Mikrobiota auf das Krebsrisiko zu bewerten. Eine Gruppe chinesischer Forscher untersuchte dies in einer Studie, sie nutzten dafür genetische Informationen zum Darm-Mikrobiom aus einer genomweiten Assoziationsstudie (GWAS) mit rund 18.400 Probandinnen und Probanden. Fünf häufige Krebsarten, Brust-, Endometrium-, Lungen-, Eierstock- und Prostatakrebs sowie deren Subtypen wurden in die Analyse einbezogen.

Es zeigte sich, dass genetisch bedingte, höhere Vorkommen der Bakterien-Gattung Sellimonas bei den Frauen direkte schädliche Wirkungen auf das Risiko für den Östrogenrezeptor-positiven Brustkrebs ausübte (Odds Ratio bzw. Risikoverhältnis 1,09). Außerdem zeigten weitere Analysen die robuste Kausalität zwischen der Gattung Sellimonas und dieser Brustkrebs-Art, nachdem andere Einflussfaktoren, z. B. das Alter der Frauen bei der Menarche und der Menopause, der BMI sowie das Rauch- und Trinkverhalten, einbezogen wurden. Daher vermuten die Forscher, dass Sallimonas-Bakterien zumindest zum Teil das Krebsrisiko, unabhängig von allgemeinen Risikofaktoren, beeinflussen können. 

Bislang waren die Kenntnisse über diese Bakterien-Gattung eher begrenzt. Es wurde berichtet, dass Sellimonas in Stuhlproben von Patienten mit aggressiveren Tumoren überrepräsentiert waren, was auf eine mögliche karzinogene Rolle hindeutete, für die es nun neue Anhaltspunkte gibt. Bei den Männern waren höhere Vorkommen der Klasse der Alphaproteobakterien mit einem geringeren Risiko für den Prostatakrebs verbunden (Odds Ratio bzw. Risikoverhältnis = 0,84). Die schützende Rolle dieser Bakterienklasse auf die Entwicklung von Prostatakrebs könnte durch die bekannten Risikofaktoren, den Body-Mass-Index sowie das Trink- und Rauchverhalten, vermittelt sein. Außerdem liegt die Vermutung nahe, dass die Darm-Mikrobiota auch noch auf andere Krebsarten einwirken könnte.

Die Forscher ziehen das Fazit: Erstmals wurde mit Hilfe einer Mendelschen Randomisierungs-Studie die Rolle der Darm-Mikrobiota im Zusammenhang mit dem Krebsrisiko umfassend untersucht. Die Ergebnisse werfen ein neues Licht auf eine mögliche kausale Rolle der Darm-Mikrobiota bei der Krebsentwicklung. Sie deuten auch darauf hin, dass Stuhluntersuchungen eine praktikable Strategie sein könnten, um Bevölkerungsgruppen mit einem erhöhten Risiko für den Brust- und Prostatakrebs zu erkennen. Wer zu einer solchen Gruppe gehört, könnte von einer häufigeren Krebsvorsorge oder gründlicheren Untersuchungen profitieren. Darüber hinaus könnte die Konditionierung der Darm-Mikrobiota eine mögliche Maßnahme für die Krebsprävention sein. Die Beziehungen zwischen der Darm-Mikrobiota und Krebskrankheiten mit den zugrunde liegenden Mechanismus sollten weiter erforscht werden.

Quelle
Zixin Wei et al., Gut microbiota and risk of five common cancers: A univariable and multivariable Mendelian randomisation study. In: Cancer Medicine, online 7.3.2023, doi: 10.1002/cam4.5772.

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